Die Märchen der Brüder 1

Freitag, 11. Mai 2007

Die Märchen der Brüder Grimm

Schneewittchen

Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab. Da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich: Hätt' ich ein Kind, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen ! Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz und ward darum Schneewittchen (Schneeweißchen) genannt. Und wie das Kind geboren war, starb die Königin. Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Gemahlin. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig und konnte nicht leiden, daß sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie:
".Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?
so antwortete der Spiegel:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land."
Da war sie zufrieden, denn sie wußte, daß der Spiegel die Wahrheit sagte. Schneewittchen aber wuchs heran und wurde immer schöner, und als es sieben Jahre alt war, war es so schön, wie der klare Tag und schöner als die Königin selbst. Als diese einmal ihren Spiegel fragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
so antwortete er:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr."
Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor Neid. Von Stund an, wenn sie Schneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das Herz im Leibe herum. so haßte sie das Mädchen. Und der Neid und Hochmut wuchsen wie ein Unkraut in ihrem Herzen immer höher, daß sie Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte. Da rief sie einen Jäger und sprach: "Bring das Kind hinaus in den Wald, ich will's nicht mehr vor meinen Augen sehen. Du sollst es töten und mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen mitbringen." Der Jäger gehorchte und führte es hinaus, und als er den Hirschfänger gezogen hatte und Schneewittchens unschuldiges Herz durchbohren wollte, fing es an zu weinen und sprach: "Ach, lieber Jäger, laß mir mein Leben ! Ich will in den wilden Wald laufen und nimmermehr wieder heimkommen." Und weil es gar so schön war, hatte der Jäger Mitleiden und sprach: "So lauf hin, du armes Kind !" Die wilden Tiere werden dich bald gefressen haben, dachte er, und doch war's ihm, als wäre ein Stein von seinem Herzen gewälzt, weil er es nicht zu töten brauchte. Und als gerade ein junger Frischling dahergesprungen kam, stach er ihn ab, nahm Lunge und Leber heraus und brachte sie als Wahrzeichen der Königin mit. Der Koch mußte sie in Salz kochen, und das boshafte Weib aß sie auf und meinte, sie hätte Schneewittchens Lunge und Leber gegessen.
Nun war das arme Kind in dem großen Wald mutterseelenallein, und ward ihm so angst, daß es alle Blätter an den Bäumen ansah und nicht wußte, wie es sich helfen sollte. Da fing es an zu laufen und lief über die spitzen Steine und durch die Dornen, und die wilden Tiere sprangen an ihm vorbei, aber sie taten ihm nichts. Es lief, so lange nur die Füße noch fortkonnten, bis es bald Abend werden wollte. Da sah es ein kleines Häuschen und ging hinein, sich zu ruhen. In dem Häuschen war alles klein, aber so zierlich und reinlich, daß es nicht zu sagen ist. Da stand ein weißgedecktes Tischlein mit sieben kleinen Tellern, jedes Tellerlein mit seinem Löffelein, ferner sieben Messerlein und Gäblelein und sieben Becherlein. An der Wand waren sieben Bettlein nebeneinander aufgestellt und schneeweiße Laken darüber gedeckt. Schneewittchen, weil es so hungrig und durstig war, aß von jedem Tellerlein ein wenig Gemüs' und Brot und trank aus jedem Becherlein einen Tropfen Wein; denn es wollte nicht einem alles wegnehmen. Hernach, weil es so müde war, legte es sich in ein Bettchen, aber keins paßte; das eine war zu lang, das andere zu kurz, bis endlich das siebente recht war; und darin blieb es liegen, befahl sich Gott und schlief ein.
Als es ganz dunkel geworden war, kamen die Herren von dem Häuslein, das waren die sieben Zwerge, die in den Bergen nach Erz hackten und gruben. Sie zündeten ihre sieben Lichtlein an, und wie es nun hell im Häuslein ward, sahen sie, daß jemand darin gesessen war, denn es stand nicht alles so in der Ordnung, wie sie es verlassen hatten. Der erste sprach: "Wer hat auf meinem Stühlchen gesessen?' Der zweite: "Wer hat von meinem Tellerchen gegessen ?" Der dritte: "Wer hat von meinem Brötchen genommen ?" Der vierte: "Wer hat von meinem Gemüschen gegessen ?" Der fünfte: "Wer hat mit meinem Gäbelchen gestochen ?" Der sechste: "Wer hat mit meinem Messerchen geschnitten ?" Der siebente: "Wer hat aus meinem Becherlein Getrunken ?" Dann sah sich der erste um und sah, daß auf seinem Bett eine kleine Delle war, da sprach er: "Wer hat in mein Bettchen getreten ?" Die anderen kamen gelaufen und riefen: "In meinem hat auch jemand Gelegen !" Der siebente aber, als er in sein Bett sah, erblickte Schneewittchen, das lag darin und schlief. Nun rief er die andern, die kamen herbeigelaufen und schrien vor Verwunderung, holten ihre sieben Lichtlein und beleuchteten Schneewittchen. "Ei, du mein Gott! Ei, du mein Gott!" riefen sie, "was ist das Kind so schön !" Und hatten so große Freude, daß sie es nicht aufweckten, sondern im Bettlein fortschlafen ließen. Der siebente Zwerg aber schlief bei seinen Gesellen, bei jedem eine Stunde, da war die Nacht herum. Als es Morgen war, erwachte Schneewittchen, und wie es die sieben Zwerge sah, erschrak es. Sie waren aber freundlich und fragten: "Wie heißt du ?" "Ich heiße Schneewittchen", antwortete es. "Wie bist du in unser Haus gekommen ?" sprachen weiter die Zwerge. Da erzählte es ihnen, daß seine Stiefmutter es hätte wollen umbringen lassen, der Jäger hätte ihm aber das Leben geschenkt, und da wär' es gelaufen den ganzen Tag, bis es endlich ihr Häuslein gefunden hätte. Die Zwerge sprachen: "Willst du unsern Haushalt versehen, kochen, betten, waschen, nähen und stricken, und willst du alles ordentlich und reinlich halten, so kannst du bei uns bleiben, und es soll dir an nichts fehlen." "Jaa, sagte Schneewittchen, "von Herzen gern !" und blieb bei ihnen. Es hielt ihnen das Haus in Ordnung. Morgens gingen sie in die Berge und suchten Erz und Gold, abends kamen sie wieder, und da mußte ihr Essen bereit sein. Den ganzen Tag über war das Mädchen allein; da warnten es die guten Zwerglein und sprachen: "Hüte dich vor deiner Stiefmutter, die wird bald wissen, daß du hier bist; laß ja niemand herein ! Die Königin aber, nachdem sie Schneewittchens Lunge und Leber glaubte gegessen zu haben, dachte nicht anders, als sie wäre wieder die Erste und Allerschönste, trat vor ihren Spiegel und sprach:
"Spieglein, Spieglein. an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
Da antwortete der Spiegel:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Schneewittchen über den Bergen
Bei den sieben Zwergen
Ist noch tausendmal schöner als Ihr."
Da erschrak sie, denn sie wußte, daß der Spiegel keine Unwahrheit sprach, und merkte, daß der Jäger sie betrogen hatte und Schneewittchen noch am Leben war. Und da sann und sann sie aufs neue, wie sie es umbringen wollte; denn so lange sie nicht die Schönste war im ganzen Land, ließ ihr der Neid keine Ruhe. Und als sie sich endlich etwas ausgedacht hatte, färbte sie sich das Gesicht und kleidete sich wie eine alte Krämerin und war ganz unkenntlich. In dieser Gestalt ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Türe und rief: "Schöne Ware feil ! feil!" Schneewittchen guckte zum Fenster hinaus und rief: "Guten Tag, liebe Frau ! Was habt Ihr zu verkaufen ?" "Gute Ware", antwortete sie, "Schnürriemen von allen Farben", und holte einen hervor, der aus bunter Seide geflochten war. Die ehrliche Frau kann ich hereinlassen, dachte Schneewittchen, riegelte die Türe auf und kaufte sich den hübschen Schnürriemen. "Kind", sprach die Alte, "wie du aussiehst ! Komm, ich will dich einmal ordentlich schnüren." Schneewittchen hatte kein Arg, stellte sich vor sie und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren. Aber die Alte schnürte geschwind und schnürte so fest, daß dem Schneewittchen der Atem verging und es für tot hinfiel. "Nun bist du die Schönste gewesen", sprach sie und eilte hinaus. Nicht lange darauf, zur Abendzeit, kamen die sieben Zwerge nach Haus; aber wie erschraken sie, als sie ihr liebes Schneewittchen auf der Erde liegen sahen, und es regte und bewegte sich nicht, als wäre es tot. Sie hoben es in die Höhe, und weil sie sahen, daß es zu fest geschnürt war, schnitten sie den Schnürriemen entzwei; da fing es an ein wenig zu atmen und ward nach und nach wieder lebendig. Als die Zwerge hörten, was geschehen war, sprachen sie: "Die alte Krämerfrau war niemand als die gottlose Königin. Hüte dich und laß keinen Menschen herein, wenn wir nicht bei dir sind !" Das böse Weib aber, als es nach Haus gekommen war, ging vor den Spiegel und fragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
Da antwortete er wie sonst:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Schneewittchen über den Bergen
Bei den sieben Zwergen
Ist noch tausendmal schöner als Ihr."
Als sie das hörte, lief ihr alles Blut zum Herzen, so erschrak sie, 'denn sie sah wohl, daß Schneewittchen wieder lebendig geworden war. "Nun aber", sprach sie", will ich etwas aussinnen, das dich- zugrunde richten soll", und mit Hexenkünsten, die sie verstand, machte sie einen giftigen Kamm. Dann verkleidete sie sich und nahm die Gestalt eines anderen alten Weibes an. So ging sie hin über die sieben Berge zu den sieben Zwergen, klopfte an die Türe und rief: "Gute Ware feil ! feil !" Schneewittchen schaute heraus und sprach: "Geht nur weiter, ich darf niemand hereinlassen !" "Das Ansehen wird dir doch erlaubt sein", sprach die Alte, zog den giftigen Kamm heraus und hielt ihn in die Höhe. Da gefiel er dem Kinde so gut, daß es sich betören ließ und die Türe öffnete. Als sie des Kaufs einig waren, sprach die Alte: "Nun will ich dich einmal ordentlich kämmen." Das arme Schneewittchen dachte an nichts, ließ die Alte gewähren, aber kaum hatte sie den Kamm in die Haare gesteckt, als das Gift darin wirkte und das Mädchen ohne Besinnung niederfiel. "Du Ausbund von Schönheit", sprach das boshafte Weib, "jetzt ist's um dich geschehen", und ging fort. Zum Glück aber war es bald Abend, wo die sieben Zwerglein nach Haus kamen. Als sie Schneewittchen wie tot auf der Erde liegen sahen, hatten sie gleich die Stiefmutter in Verdacht, suchten nach und fanden den giftigen Kamm. Und kaum hatten sie ihn herausgezogen, so kam Schneewittchen wieder zu sich und erzählte, was vorgegangen war. Da warnten sie es noch einmal, auf seiner Hut zu sein und niemand die Türe zu öffnen. Die Königin stellte sich daheim vor den Spiegel und sprach:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
Da antwortete er wie vorher:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Schneewittchen über den Bergen
Bei den sieben Zwergen
Ist noch tausendmal schöner als Ihr."
Als sie den Spiegel so reden hörte, zitterte und bebte sie vor Zorn. ,Schneewittchen soll sterben", rief sie, "und wenn es mein eigenes Leben kostet !" Darauf ging sie in eine ganz verborgene, einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen, giftigen Apfel. Äußerlich sah er schön aus, weiß mit roten Backen, daß jeder, der ihn erblickte, Lust danach bekam, aber wer ein Stückchen davon aß, der mußte sterben. Als der Apfel fertig war, färbte sie sich das Gesicht und verkleidete sich in eine Bauersfrau, und so ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen. Sie klopfte an. Schneewittchen streckte den Kopf zum Fenster heraus und sprach: " Ich darf keinen Menschen einlassen, die sieben Zwerge haben mir's verboten !" "Mir auch recht", antwortete die Bäuerin, "meine Äpfel will ich schon loswerden. Da, e i n e n will ich dir schenken." "Nein", sprach Schneewittchen, "ich darf nichts annehmen !" "Fürchtest du dich vor Gift ?" sprach die Alte, "siehst du, da schneide ich den Apfel in zwei Teile; den roten Backen iß, den weißen will ich essen " Der Apfel war aber so künstlich gemacht, daß der rote Backen allein vergiftet war. Schneewittchen lusterte den schönen Apfel an, und als es sah, daß die Bäuerin davon aß, so konnte es nicht länger widerstehen, streckte die Hand hinaus und nahm die giftige Hälfte. Kaum aber hatte es einen Bissen davon im Mund, so fiel es tot zur Erde nieder. Da betrachtete es die Königin mit grausigen Blicken und lachte überlaut und sprach: "Weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz ! Diesmal können dich die Zwerge nicht wieder erwecken." Und als sie daheim den Spiegel befragte:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
so antwortete er endlich:
"Frau Königin, Ihr seid de Schönste im Land."
Da hatte ihr neidisches Herz Ruhe, so gut ein neidisches Herz Ruhe haben kann.
Die Zwerglein, wie sie abends nach Haus kamen, fanden Schneewittchen auf der Erde liegen, und es ging kein Atem mehr aus seinem Mund, und es war tot. Sie hoben es auf suchten, ob sie was Giftiges fänden, schnürten es auf, kämmten ihm die Haare, wuschen es mit Wasser und Wein, aber es half alles nichts; das liebe Kind war tot und blieb tot. Sie legten es auf eine Bahre und setzten sich alle siebene daran und beweinten es und weinten drei Tage lang. Da wollten sie es begraben, aber es sah noch so frisch aus wie ein lebender Mensch und hatte noch seine schönen, roten Backen. Sie sprachen: "Das können wir nicht in die schwarze Erde versenken", und ließen einen durchsichtigen Sarg von Glas machen, daß man es von allen Seiten sehen konnte, legten es hinein und schrieben mit goldenen Buchstaben seinen Namen darauf und daß es eine Königstochter wäre. Dann setzten sie den Sarg hinaus auf den Berg, und einer von ihnen blieb immer dabei und bewachte ihn. Und die Tiere kamen auch und beweinten Schneewittchen, erst eine Eule dann ein Rabe. zuletzt ein Täubchen. Nun lag Schneewittchen lange, lange Zeit in dem Sarg und verweste nicht, sondern sah aus, als wenn es schliefe, denn es war noch so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz. Es geschah aber, daß ein Königssohn in den Wald geriet und zu dem Zwergenhaus kam, da zu übernachten. Er sah auf dem Berg den Sarg und das schöne Schneewittchen darin und las, was mit goldenen Buchstaben darauf geschrieben war. Da sprach er zu den Zwergen: "Laßt mir den Sarg, ich will euch geben, was ihr dafür haben wollt " Aber die Zwerge antworteten: "Wir geben ihn nicht für alles Gold in der Welt." Da sprach er: "So schenkt mir ihn, denn ich kann nicht leben, ohne Schneewittchen zu sehen, ich will es ehren und hochachten wie mein Liebstes." Wie er so sprach, empfanden die guten Zwerglein Mitleid mit ihm und gaben ihm den Sarg. Der Königssohn ließ ihn nun von seinen Dienern auf den Schultern forttragen. Da geschah es, daß sie über einen Strauch stolperten, und von dem Schüttern fuhr der giftige Apfelgrütz, den Schneewittchen abgebissen hatte, aus dem Hals. Und nicht lange, so öffnete es die Augen, hob den Deckel vom Sarg in die Höhe und richtete sich auf und war wieder lebendig. "Ach Gott, wo bin ich ?" rief es. Der Königssohn sagte voll Freude: "Du bist bei mir", und erzählte, was sich zugetragen hatte, und sprach: "Ich habe dich lieber als alles auf der Welt; komm mit mir in meines Vaters Schloß, du sollst meine Gemahlin werden." Da war ihm Schneewittchen gut und ging mit ihm, und ihre Hochzeit ward mit großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet. Zu dem Feste wurde aber auch Schneewittchens gottlose Stiefmutter eingeladen. Wie sie sich nun mit schönen Kleidern angetan hatte, trat sie vor den Spiegel und sprach:
"Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land ?"
Der Spiegel antwortete:
"Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber die junge Königin ist noch tausendmal schöner als ihr."
Da stieß das böse Weib einen Fluch aus, und ward ihr so angst, so angst, daß sie sich nicht zu lassen wußte. Sie wollte zuerst gar nicht auf die Hochzeit kommen, doch ließ es ihr keine Ruhe, sie mußte fort und die junge Königin sehen. Und wie sie hineintrat, erkannte sie Schneewittchen, und vor Angst und Schrecken stand sie da und konnte sich nicht regen. Aber es waren schon eiserne Pantoffel über Kohlenfeuer gestellt und wurden mit Zangen hereingetragen und vor sie hingestellt. Da mußte sie in die rotglühenden Schuhe treten und so lange tanzen, bis sie tot zur Erde fiel.

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Tischlein deck dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack
Vor Zeiten war ein Schneider, der drei Söhne hatte und nur eine einzige Ziege. Aber die Ziege, weil sie alle zusammen mit ihrer Milch ernährte, mußte ihr gutes Futter haben und täglich hinaus auf die Weide geführt werden. Die Söhne taten das auch nach der Reihe. Einmal brachte sie der äIteste auf den Kirchhof, wo die schönsten Kräuter standen, ließ sie da fressen und herumspringen. Abends, als es Zeit war heimzugehen, fragte er 'Ziege, bist du satt?' Die Ziege antwortete
'ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!'
'So komm nach Haus,' sprach der Junge, faßte sie am Strickchen, führte sie in den Stall und band sie fest. 'Nun,' sagte der alte Schneider, 'hat die Ziege ihr gehöriges Futter?' 'O,' antwortete der Sohn, 'die ist so satt, sie mag kein Blatt.' Der Vater aber wollte sich selbst überzeugen, ging hinab in den Stall, streichelte das liebe Tier und fragte 'Ziege, bist du auch satt?' Die Ziege antwortete
'wovon sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein,
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!,
'Was muß ich hören!, rief der Schneider, lief hinauf und sprach zu dem Jungen 'ei, du Lügner, sagst, die Ziege wäre satt, und hast sie hungern lassen?' und in seinem Zorne nahm er die Elle von der Wand und jagte ihn mit Schlägen hinaus.
Am andern Tag war die Reihe am zweiten Sohn, der suchte an der Gartenhecke einen Platz aus, wo lauter gute Kräuter standen, und die Ziege fraß sie rein ab. Abends, als er heim wollte, fragte er 'Ziege, bist du satt?' Die Ziege antwortete
'ich bin so satt'
ich mag kein Blatt: meh! meh!'
'So komm nach Haus,' sprach der Junge, zog sie heim und band sie im Stall fest. 'Nun,' sagte der alte Schneider, 'hat die Ziege ihr gehöriges Futter?' 'O,' antwortete der Sohn, 'die ist so satt, sie mag kein Blatt.' Der Schneider wollte sich darauf nicht verlassen, ging hinab in den Stall und fragte 'Ziege, bist du auch satt?' Die Ziege antwortete
'wovon sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein,
und fand kein einzig Blättelein: meh!'
'Der gottlose Bösewicht!' schrie der Schneider, 'so ein frommes Tier hungern zu lassen!' lief hinauf und schlug mit der Elle den Jungen zur Haustüre hinaus.
Die Reihe kam jetzt an den dritten Sohn, der wollte seine Sache gut machen, suchte Buschwerk mit dem schönsten Laube aus, und ließ die Ziege daran fressen. Abends, als er heim wollte, fragte er 'Ziege, bist du auch satt?' Die Ziege antwortete
'ich bin so satt ich
mag kein Blatt: meh! meh!'
'So komm nach Haus,' sagte der Junge, führte sie in den Stall und band sie fest. 'Nun,' sagte der alte Schneider, 'hat die Ziege ihr gehöriges Futter?' 'O,' antwortete der Sohn, 'die ist so satt, sie mag kein Blatt.' Der Schneider traute nicht, ging hinab und fragte 'Ziege, bist du auch satt?' Das boshafte Tier antwortete
'wovon sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein,
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!'
'O die Lügenbrut!, rief der Schneider, 'einer so gottlos und pflichtvergessen wie der andere! ihr sollt mich nicht länger zum Narren haben!' und vor Zorn ganz außer sich sprang er hinauf und gerbte dem armen Jungen mit der Elle den Rücken so gewaltig, daß er zum Haus hinaussprang.
Der alte Schneider war nun mit seiner Ziege allein. Am andern Morgen ging er hinab in den Stall, liebkoste die Ziege und sprach 'komm, mein liebes Tierlein, ich will dich selbst zur Weide führen.' Er nahm sie am Strick und brachte sie zu grünen Hecken und unter Schafrippe, und was sonst die Ziegen gerne fressen. 'Da kannst du dich einmal nach Herzenslust sättigen,' sprach er zu ihr, und ließ sie weiden bis zum Abend. Da fragte er 'Ziege, bist du satt?' Sie antwortete
'ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!'
'So komm nach Haus,' sagte der Schneider, führte sie in den Stall und band sie fest. Als er wegging, kehrte er sich noch einmal um und sagte 'nun bist du doch einmal satt!' Aber die Ziege machte es ihm nicht besser und rief
'wie sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!'
Als der Schneider das hörte' stutzte er und sah wohl, daß er seine drei Söhne ohne Ursache verstoßen hatte. 'Wart,' rief er, 'du undankbares Geschöpf, dich fortzujagen ist noch zu wenig, ich will dich zeichnen, daß du dich unter ehrbaren Schneidern nicht mehr darfst sehen lassen.' In einer Hast sprang er hinauf, holte sein Bartmesser, seifte der Ziege den Kopf ein, und schor sie so glatt wie seine flache Hand. Und weil die Elle zu ehrenvoll gewesen wäre, holte er die Peitsche und versetzte ihr solche Hiebe, daß sie in gewaltigen Sprüngen davonlief.
Der Schneider, als er so ganz einsam in seinem Hause saß, verfiel in große Traurigkeit und hätte seine Söhne gerne wiedergehabt, aber niemand wußte, wo sie hingeraten waren. Der älteste war zu einem Schreiner in die Lehre gegangen, da lernte er fleißig und unverdrossen, und als seine Zeit herum war, daß er wandern sollte, schenkte ihm der Meister ein Tischchen, das gar kein besonderes Ansehen hatte und von gewöhnlichem Holz war: aber es hatte eine gute Eigenschaft. Wenn man es hinstellte und sprach 'Tischchen, deck dich,' so war das gute Tischchen auf einmal mit einem saubern Tüchlein bedeckt, und stand da ein Teller, und Messer und Gabel daneben, und Schüsseln mit Gesottenem und Gebratenem, so viel Platz hatten, und ein großes Glas mit rotem Wein leuchtete, daß einem das Herz lachte. Der junge Gesell dachte 'damit hast du genug für dein Lebtag,' zog guter Dinge in der Welt umher und bekümmerte sich gar nicht darum, ob ein Wirtshaus gut oder schlecht und ob etwas darin zu finden war oder nicht. Wenn es ihm gefiel, so kehrte er gar nicht ein, sondern im Felde, im Wald, auf einer Wiese, wo er Lust hatte, nahm er sein Tischchen vom Rücken, stellte es vor sich und sprach 'deck dich,' so war alles da, was sein Herz begehrte. Endlich kam es ihm in den Sinn, er wollte zu seinem Vater zurückkehren, sein Zorn würde sich gelegt haben, und mit dem Tischchen deck dich würde er ihn gerne wieder aufnehmen. Es trug sich zu, daß er auf dem Heimweg abends in ein Wirtshaus kam, das mit Gästen angefüllt war: sie hießen ihn willkommen und luden ihn ein, sich zu ihnen zu setzen und mit ihnen zu essen, sonst würde er schwerlich noch etwas bekommen. 'Nein,' antwortete der Schreiner, 'die paar Bissen will ich euch nicht vor dem Munde nehmen, lieber sollt ihr meine Gäste sein.' Sie lachten und meinten, er triebe seinen Spaß mit ihnen. Er aber stellte sein hölzernes Tischchen mitten in die Stube und sprach 'Tischchen, deck dich.' Augenblicklich war es mit Speisen besetzt, so gut, wie sie der Wirt nicht hätte herbeischaffen können, und wovon der Geruch den Gästen lieblich in die Nase stieg. 'Zugegriffen, liebe Freunde,' sprach der Schreiner, und die Gäste, als sie sahen, wie es gemeint war, ließen sich nicht zweimal bitten, rückten heran, zogen ihre Messer und griffen tapfer zu. Und was sie am meisten verwunderte, wenn eine Schüssel leer geworden war, so stellte sich gleich von selbst eine volle an ihren Platz. Der Wirt stand in einer Ecke und sah dem Dinge zu; er wußte gar nicht, was er sagen sollte, dachte aber 'einen solchen Koch könntest du in deiner Wirtschaft wohl brauchen.' Der Schreiner und seine Gesellschaft waren lustig bis in die späte Nacht, endlich legten sie sich schlafen, und der junge Geselle ging auch zu Bett und stellte sein Wünschtischchen an die Wand. Dem Wirte aber ließen seine Gedanken keine Ruhe, es fiel ihm ein, daß in seiner Rumpelkammer ein altes Tischchen stände, das gerade so aussähe: das holte er ganz sachte herbei und vertauschte es mit dem Wünschtischchen. Am andern Morgen zahlte der Schreiner sein Schlafgeld, packte sein Tischchen auf, dachte gar nicht daran, daß er ein falsches hätte, und ging seiner Wege. Zu Mittag kam er bei seinem Vater an, der ihn mit großer Freude empfing. 'Nun, mein lieber Sohn, was hast du gelernt?' sagte er zu ihm. 'Vater, ich bin ein Schreiner geworden.' 'Ein gutes Handwerk,' erwiderte der Alte, 'aber was hast du von deiner Wanderschaft mitgebracht?' 'Vater, das Beste, was ich mitgebracht habe, ist das Tischchen.' Der Schneider betrachtete es von allen Seiten und sagte 'daran hast du kein Meisterstück gemacht, das ist ein altes und schlechtes Tischchen.' 'Aber es ist ein Tischchen deck dich,' antwortete der Sohn, 'wenn ich es hinstelle, und sage ihm, es solle sich decken, so stehen gleich die schönsten Gerichte darauf und ein Wein dabei , der das Herz erfreut. Ladet nur alle Verwandte und Freunde ein, die sollen sich einmal laben und erquicken, denn das Tischchen macht sie alle satt.' Als die Gesellschaft beisammen war, stellte er sein Tischchen mitten in die Stube und sprach 'Tischchen, deck dich.' Aber das Tischchen regte sich nicht und blieb so leer wie ein anderer Tisch, der die Sprache nicht versteht. Da merkte der arme Geselle, daß ihm das Tischchen vertauscht war, und schämte sich, daß er wie ein Lügner dastand. Die Verwandten aber lachten ihn aus und mußten ungetrunken und ungegessen wieder heim wandern. Der Vater holte seine Lappen wieder herbei und schneiderte fort, der Sohn aber ging bei einem Meister in die Arbeit.
Der zweite Sohn war zu einem Müller gekommen und bei ihm in die Lehre gegangen. Als er seine Jahre herum hatte, sprach der Meister 'weil du dich so wohl gehalten hast, so schenke ich dir einen Esel von einer besondern Art, er zieht nicht am Wagen und trägt auch keine Säcke.' 'Wozu ist er denn nütze?' fragte der junge Geselle. 'Er speit Gold,' antwortete der Müller, 'wenn du ihn auf ein Tuch stellst und sprichst 'Bricklebrit,' so speit dir das gute Tier Goldstücke aus, hinten und vorn.' 'Das ist eine schöne Sache,' sprach der Geselle, dankte dem Meister und zog in die Welt. Wenn er Gold nötig hatte, brauchte er nur zu seinem Esel 'Bricklebrit, zu sagen, so regnete es Goldstücke, und er hatte weiter keine Mühe, als sie von der Erde aufzuheben. Wo er hinkam, war ihm das Beste gut genug, und je teurer je lieber, denn er hatte immer einen vollen Beutel. Als er sich eine Zeitlang in der Welt umgesehen hatte, dachte er 'du mußt deinen Vater aufsuchen, wenn du mit dem Goldesel kommst, so wird er seinen Zorn vergessen und dich gut aufnehmen.' Es trug sich zu, daß er in dasselbe Wirtshaus geriet, in welchem seinem Bruder das Tischchen vertauscht war. Er führte seinen Esel an der Hand, und der Wirt wollte ihm das Tier abnehmen und anbinden, der junge Geselle aber sprach 'gebt Euch keine Mühe, meinen Grauschimmel führe ich selbst in den Stall und binde ihn auch selbst an, denn ich muß wissen, wo er steht.' Dem Wirt kam es wunderlich vor und er meinte, einer, der seinen Esel selbst besorgen müßte, hätte nicht viel zu verzehren: als aber der Fremde in die Tasche griff, zwei Goldstücke herausholte und sagte, er sollte nur etwas Gutes für ihn einkaufen, so machte er große Augen, lief und suchte das Beste, das er auftreiben konnte. Nach der Mahlzeit fragte der Gast, was er schuldig wäre, der Wirt wollte die doppelte Kreide nicht sparen und sagte, noch ein paar Goldstücke müßte er zulegen. Der Ge selle griff in die Tasche, aber sein Gold war eben zu Ende. 'Wartet einen Augenblick, Herr Wirt,' sprach er, 'ich will nur gehen und Gold holen;' nahm aber das Tischtuch mit. Der Wirt wußte nicht, was das heißen sollte, war neugierig, schlich ihm nach, und da der Gast die Stalltüre zuriegelte, so guckte er durch ein Astloch. Der Fremde breitete unter dem Esel das Tuch aus, rief 'Bricklebrit,' und augenblicklich fing das Tier an, Gold zu speien von hinten und vorn, daß es ordentlich auf die Erde herabregnete. 'Ei der tausend,' sagte der Wirt, 'da sind die Dukaten bald geprägt! so ein Geldbeutel ist nicht übel!' Der Gast bezahlte seine Zeche und legte sich schlafen, der Wirt aber schlich in der Nacht herab in den Stall, führte den Münzmeister weg und band einen andern Esel an seine Stelle. Den folgenden Morgen in der Frühe zog der Geselle mit seinem Esel ab und meinte, er hätte seinen Goldesel. Mittags kam er bei seinem Vater an, der sich freute, als er ihn wiedersah, und ihn gerne aufnahm. 'Was ist aus dir geworden, mein Sohn?' fragte der Alte. 'Ein Müller, lieber Vater,' antwortete er. 'Was hast du von deiner Wanderschaft mitgebracht?' 'Weiter nichts als einen Esel.' 'Esel gibts hier genug,' sagte der Vater, 'da wäre mir doch eine gute Ziege lieber gewesen.' 'Ja,' antwortete der Sohn, 'aber es ist kein gemeiner Esel, sondern ein Goldesel: wenn ich sage 'Bricklebrit,' so speit Euch das gute Tier ein ganzes Tuch voll Goldstücke. Laßt nur alle Verwandte herbeirufen, ich mache sie alle zu reichen Leuten.' 'Das laß ich mir gefallen,' sagte der Schneider, 'dann brauch ich mich mit der Nadel nicht weiter zu quälen,' sprang selbst fort und rief die Verwandten herbei. Sobald sie beisammen waren, hieß sie der Müller Platz machen, breitete sein Tuch aus, und brachte den Esel in die Stube. 'Jetzt gebt acht,' sagte er und rief 'Bricklebrit,' aber es waren keine Goldstücke, was herabfiel, und es zeigte sich, daß das Tier nichts von der Kunst verstand, denn es bringts nicht jeder Esel so weit. Da machte der arme Müller ein langes Gesicht, sah, daß er betrogen war, und bat die Verwandten um Verzeihung, die so arm heimgingen, als sie gekommen waren. Es blieb nichts übrig, der Alte mußte wieder nach der Nadel greifen, und der Junge sich bei einem Müller verdingen.
Der dritte Bruder war zu einem Drechsler in die Lehre gegangen, und weil es ein kunstreiches Handwerk ist, mußte er am längsten lernen. Seine Brüder aber meldeten ihm in einem Briefe, wie schlimm es ihnen ergangen wäre, und wie sie der Wirt noch am letzten Abende um ihre schönen Wünschdinge gebracht hätte. Als der Drechsler nun ausgelernt hatte und wandern sollte, so schenkte ihm sein Meister, weil er sich so wohl gehalten, einen Sack und sagte 'es liegt ein Knüppel darin.' 'Den Sack kann ich umhängen, und er kann mir gute Dienste leisten, aber was soll der Knüppel darin? der macht ihn nur schwer.' 'Das will ich dir sagen,' antwortete der Meister, 'hat dir jemand etwas zuleid getan, so sprich nur 'Knüppel, aus dem Sack,' so springt dir der Knüppel heraus unter die Leute und tanzt ihnen so lustig auf dem Rücken herum, daß sie sich acht Tage lang nicht regen und bewegen können; und eher läßt er nicht ab, als bis du sagst 'Knüppel, in den Sack.' Der Gesell dankte ihm, hing den Sack um, und wenn ihm jemand zu nahe kam und auf den Leib wollte, so sprach er 'Knüppel, aus dem Sack,' alsbald sprang der Knüppel heraus und klopfte einem nach dem andern den Rock oder Wams gleich auf dem Rücken aus, und wartete nicht erst, bis er ihn ausgezogen hatte; und das ging so geschwind, daß, eh sichs einer versah, die Reihe schon an ihm war. Der junge Drechsler langte zur Abendzeit in dem Wirtshaus an, wo seine Brüder waren betrogen worden. Er legte seinen Ranzen vor sich auf den Tisch und fing an zu erzählen, was er alles Merkwürdiges in der Welt gesehen habe. 'Ja,' sagte er, 'man findet wohl ein Tischchen deck dich, einen Goldesel und dergleichen: lauter gute Dinge, die ich nicht verachte, aber das ist alles nichts gegen den Schatz, den ich mir erworben habe und mit mir da in meinem Sack führe.' Der Wirt spitzte die Ohren: 'was in aller Welt mag das sein?' dachte er, 'der Sack ist wohl mit lauter Ed elsteinen angefüllt; den sollte ich billig auch noch haben, denn aller guten Dinge sind drei.' Als Schlafenszeit war, streckte sich der Gast auf die Bank und legte seinen Sack als Kopfkissen unter. Der Wirt, als er meinte, der Gast läge in tiefem Schlaf, ging herbei, rückte und zog ganz sachte und vorsichtig an dem Sack, ob er ihn vielleicht wegziehen und einen andern unterlegen könnte. Der Drechsler aber hatte schon lange darauf gewartet, wie nun der Wirt eben einen herzhaften Ruck tun wollte, rief er 'Knüppel, aus dem Sack.' Alsbald fuhr das Knüppelchen heraus, dem Wirt auf den Leib, und rieb ihm die Nähte, daß es eine Art hatte. Der Wirt schrie zum Erbarmen, aber je lauter er schrie. desto kräftiger schlug der Knüppel ihm den Takt dazu auf dem Rücken, bis er endlich erschöpft zur Erde fiel. Da sprach der Drechsler 'wo du das Tischchen deck dich und den Goldesel nicht wieder herausgibst, so soll der Tanz von neuem angehen.' 'Ach nein,' rief der Wirt ganz kleinlaut, 'ich gebe alles gerne wieder heraus, laßt nur den verwünschten Kobold wieder in den Sack kriechen.' Da sprach der Geselle 'ich will Gnade für Recht ergehen lassen, aber hüte dich vor Schaden!' dann rief er 'Knüppel, in den Sack!' und ließ ihn ruhen.
Der Drechsler zog am andern Morgen mit dem Tischchen deck dich und dem Goldesel heim zu seinem Vater. Der Schneider freute sich, als er ihn wiedersah, und fragte auch ihn, was er in der Fremde gelernt hätte. 'Lieber Vater,' antwortete er, 'ich bin ein Drechsler geworden.' 'Ein kunstreiches Handwerk,' sagte der Vater, 'was hast du von der Wanderschaft mitgebracht?' 'Ein kostbares Stück, lieber Vater,' antwortete der Sohn, 'einen Knüppel in dem Sack.' 'Was!, rief der Vater, 'einen Knüppel! das ist der Mühe wert! den kannst du dir von jedem Baume abhauen.' 'Aber einen solchen nicht, lieber Vater: sage ich 'Knüppel, aus dem Sack,' so springt der Knüppel heraus und macht mit dem, der es nicht gut mit mir meint, einen schlimmen Tanz, und läßt nicht eher nach, als bis er auf der Erde liegt und um gut Wetter bittet. Seht Ihr, mit diesem Knüppel habe ich das Tischchen deck dich und den Goldesel wieder herbeigeschafft, die der diebische Wirt meinen Brüdern abgenommen hatte. Jetzt laßt sie beide rufen und ladet alle Verwandten ein, ich will sie speisen und tränken und will ihnen die Taschen noch mit Gold füllen.' Der alte Schneider wollte nicht recht trauen, brachte aber doch die Verwandten zusammen. Da deckte der Drechsler ein Tuch in die Stube, führte den Goldesel herein und sagte zu seinem Bruder 'nun, lieber Bruder, sprich mit ihm.' Der Müller sagte 'Bricklebrit,' und augenblicklich sprangen die Goldstücke auf das Tuch herab, als käme ein Platzregen, und der Esel hörte nicht eher auf, als bis alle so viel hatten, daß sie nicht mehr tragen konnten. (Ich sehe dirs an, du wärst auch gerne dabei gewesen.) Dann holte der Drechsler das Tischchen und sagte 'lieber Bruder, nun sprich mit ihm.' Und kaum hatte der Schreiner 'Tischchen, deck dich, gesagt, so war es gedeckt und mit den schönsten Schüsseln reichlich besetzt. Da ward eine Mahlzeit gehalten, wie der gute Schneider noch keine in seinem Hause erlebt hat te, und die ganze Verwandtschaft blieb beisammen bis in die Nacht, und waren alle lustig und vergnügt. Der Schneider verschloß Nadel und Zwirn, Elle und Bügeleisen in einen Schrank, und lebte mit seinen drei Söhnen in Freude und Herrlichkeit.
Wo ist aber die Ziege hingekommen, die schuld war, daß der Schneider seine drei Söhne fortjagte? Das will ich dir sagen. Sie schämte sich, daß sie einen kahlen Kopf hatte, lief in eine Fuchshöhle und verkroch sich hinein. Als der Fuchs nach Haus kam, funkelten ihm ein paar große Augen aus der Dunkelheit entgegen, daß er erschrak und wieder zurücklief. Der Bär begegnete ihm, und da der Fuchs ganz verstört aussah, so sprach er 'was ist dir, Bruder Fuchs, was machst du für ein Gesicht?' 'Ach,' antwortete der Rote, 'ein grimmig Tier sitzt in meiner Höhle und hat mich mit feurigen Augen angeglotzt.' 'Das wollen wir bald austreiben,' sprach der Bär, ging mit zu der Höhle und schaute hinein; als er aber die feurigen Augen erblickte, wandelte ihn ebenfalls Furcht an: er wollte mit dem grimmigen Tiere nichts zu tun haben und nahm Reißaus. Die Biene begegnete ihm, und da sie merkte, daß es ihm in seiner Haut nicht wohl zumute war, sprach sie 'Bär, du machst ja ein gewaltig verdrießlich Gesicht, wo ist deine Lustigkeit geblieben?' 'Du hast gut reden,' antwortete der Bär, 'es sitzt ein grimmiges Tier mit Glotzaugen in dem Hause des Roten, und wir können es nicht herausjagen.' Die Biene sprach 'du dauerst mich, Bär, ich bin ein armes schwaches Geschöpf, das ihr im Wege nicht anguckt, aber ich glaube doch, daß ich euch helfen kann.' Sie flog in die Fuchshöhle, setzte sich der Ziege auf den glatten geschorenen Kopf und stach sie so gewaltig, daß sie aufsprang, 'meh! meh!' schrie, und wie toll in die Welt hineinlief; und weiß niemand auf diese Stunde, wo sie hingelaufen ist.

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Vom Fischer und seiner Frau

Es war einmal ein Fischer und seine Frau, die wohnten zusammen in einer kleinen Fischerhütte, dicht an der See, und der Fischer ging alle Tage hin und angelte; und er angelte und angelte.
So saß er auch einmal mit seiner Angel und sah immer in das klare Wasser hinein; und so saß er nun und saß.
Da ging die Angel auf den Grund, tief hinunter, und als er sie heraufholte, da holte er einen großen Butt heraus. Da sagte der Butt zu ihm: „Hör mal, Fischer, ich bitte dich, laß mich leben, ich bin gar kein richtiger Butt, ich bin ein verwünschter Prinz. Was hilft dir’s, wenn du mich totmachst? Ich würde dir doch nicht recht schmecken; setz mich wieder ins Wasser und laß mich schwimmen!" „Nun", sagte der Mann, „du brauchst nicht so viele Worte zu machen; einen Butt, der sprechen kann, werde ich doch wohl schwimmen lassen." Damit setzte er ihn wieder in das klare Wasser; da ging der Butt auf den Grund und ließ einen langen Streifen Blut hinter sich. Da stand der Fischer auf und ging zu seiner Frau in die kleine Hütte.
„Mann", sagte die Frau, „hast du heute nichts gefangen?" „Nein", sagte der Mann, „ich fing einen Butt, der sagte, er wäre ein verwunschener Prinz, da hab ich ihn wieder schwimmen lassen." „Hast du dir denn nichts gewünscht?" sagte die Frau. „Nein", sagte der Mann, „was sollt ich mir denn wünschen?" „Ach", sagte die Frau, „das ist doch bös, immer hier in dem Hüttchen zu wohnen, das stinkt und ist so eklig; du hättest uns doch ein kleines Häuschen wünschen können. Geh noch mal hin und ruf ihn! Sag ihm, wir wollten ein kleines Häuschen haben, er tut das gewiß." „Ach", sagte der Mann, „was soll ich da noch mal hingehen?", „I", sagte die Frau, „du hattest ihn doch gefangen und hast ihn wieder schwimmen lassen, er tut das gewiß. Geh gleich hin!" Der Mann wollte noch nicht recht, wollte aber auch seiner Frau nicht zuwiderhandeln und ging hin an die See.
Als er dorthin kam, war die See ganz grün und gelb und gar nicht mehr so klar. So stellte er sich hin und sagte:
„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will."
Da kam der Butt angeschwommen und sagte: „Na, was will sie denn?" „Ach", sagte der Mann, „ich hab dich doch gefangen gehabt; nun sagt meine Frau, ich hätt mir doch was wünschen sollen. Sie mag nicht mehr in ihrer Hütte wohnen, sie will gern ein kleines Häuschen." „Geh nur hin", sagte der Butt, „sie hat es schon."
Da ging der Mann hin, und seine Frau saß nicht mehr in dem Fischerhüttchen; an seiner Stelle stand jetzt ein kleines Häuschen, und seine Frau saß vor der Türe auf einer Bank. Da nahm ihn seine Frau bei der Hand und sagte zu ihm: „Komm nur herein, sieh, nun ist das doch viel besser!" Da gingen sie hinein, und in dem Häuschen war ein kleiner Vorplatz und eine kleine, allerliebste Stube und Kammer, wo jedem sein Bett stand, und Küche und Speisekammer, alles aufs beste mit Gerätschaften versehen und aufs schönste aufgestellt, Zinnzeug und Messing, was eben so dazu gehört. Und dahinter war auch ein kleiner Hof mit Hühnern und Enten und ein kleiner Garten mit Grünzeug und Obst. „Sieh", sagte die Frau, „ist das nicht nett?" „Ja", sagte der Mann, „so soll es bleiben; nun wollen wir recht vergnügt leben." „Das wollen wir uns bedenken", sagte die Frau. Dann aßen sie etwas und gingen zu Bett.
So ging das wohl nun acht oder vierzehn Tage; da sagte die Frau: „Hör, Mann, das Häuschen ist auch gar zu eng, und der Hof und der Garten ist so klein; der Butt hätt uns auch wohl ein größeres Haus schenken können. Ich möchte wohl in einem großen, steinernen Schloß wohnen. Geh hin zum Butt, er soll uns ein Schloß schenken!" „Ach, wir in einem Schlosse wohnen?" „I was", sagte die Frau, „geh du nur hin, der Butt kann das schon tun!" „Nein, Frau", sagte der Mann, „der Butt hat uns erst das Häuschen gegeben; ich mag nun nicht gleich wiederkommen, den Butt könnte das verdrießen." „Geh doch", sagte die Frau, „er kann das recht gut und tut es auch gern; geh du nur hin!"
Dem Mann war sein Herz so schwer, und er wollte nicht; er sagte zu sich selber: „Das ist nicht recht" - aber ging doch hin.
Als er an die See kam, war das Wasser ganz violett und dunkelblau und grau und dick und gar nicht mehr so grün und gelb; doch war es noch still. Da stellte er sich nun hin und sagte:
„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will."
„Na, was will sie denn?" sagte der Butt. „Ach", sagte der Mann halb bedrückt, „sie will in einem großen, steinernen Schloß wohnen."
„Geh nur hin, sie steht vor der Tür", sagte der Butt.
Da ging der Mann hin und dachte, er wollte nach Haus gehen; als er aber dahin kam, da stand dort ein großer, steinerner Palast, und seine Frau stand oben auf der Treppe und wollte hineingehen; da nahm sie ihn bei der Hand und sagte: „Komm mal herein!" Damit ging er mit ihr hinein, und in dem Schloß war eine große Diele mit einem Estrich aus Marmelstein, und da waren so viele Bediente, die rissen die großen Türen auf; und die Wände waren alle blank und mit schönen Tapeten, und in den Zimmern lauter goldene Stühle und Tische, und kristallene Kronenleuchter hingen von der Decke, und alle Stuben und Kammern waren mit Fußdecken belegt; und das Essen und der allerbeste Wein stand auf den Tischen, als ob sie brechen wollten. Und hinter dem Hause war auch ein großer Hof mit einem Pferde- und Kuhstall und Kutschwagen - alles vom Besten; auch war da ein großer herrlicher Garten mit den schönsten Blumen und seinen Obstbäumen und ein herrlicher Park, wohl eine halbe Meile lang; da waren Hirsche und Rehe und Hasen drin und alles, was man sich nur immer wünschen mochte. „Na", sagte die Frau, „ist das nun nicht schön?" „Ach ja", sagte der Mann, „so soll es auch bleiben; nun wollen wir auch in dem schönen Schloß wohnen und zufrieden sein." „Das wollen wir uns bedenken", sagte die Frau, „und wollen es beschlafen." Darauf gingen sie zu Bett.
Am andern Morgen wachte die Frau zuerst auf, es war eben Tag geworden, und sah von ihrem Bett aus das herrliche Land vor sich liegen. Der Mann dehnte und reckte sich noch, da stieß sie ihn mit dem Ellenbogen in die Seite und sagte: „Mann steh auf und guck mal aus dem Fenster! Sieh, könnten wir nicht König werden über das ganze Land? Geh hin zum Butt, wir wollen König sein!" „Ach, Frau", sagte der Mann, „warum wollen wir König sein? Ich mag nicht König sein." „Nun", sagte die Frau, „willst du nicht König sein, so will ich König sein. Geh hin zum Butt, ich will König sein!" „Ach, Frau", sagte der Mann, „was willst du König sein? Das mag ich ihm nicht sagen." „Warum nicht?" sagte die Frau, „geh augenblicklich hin, ich muß König sein!" Da ging der Mann hin und war ganz bedrückt, daß seine Frau König werden wollte. Das ist und ist nicht recht, dachte der Mann. Er wollte nicht hingehen, ging aber doch hin.
Und als er an die See kam, da war die See ganz schwarzgrau, und das Wasser quoll so von unten herauf und stank auch ganz faul. Da stellte er sich hin und sagte:
„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will."
„Na, was will sie denn?" sagte der Butt. „Ach", sagte der Mann, „sie will König werden." „Geh nur hin, sie ist es schon", sagte der Butt. Da ging der Mann hin, und als er nach dem Palast kam, da war das Schloß viel größer geworden, mit einem großen Turm und herrlichem Zierat daran; und die Schildwacht stand vor dem Tor, und da waren so viele Soldaten und Pauken und Trompeten. Und als er in das Haus kam, da war alles von purem Marmelstein und Gold und samtne Decken mit großen, goldenen Quasten. Da gingen die Türen von dem Saal auf, wo der ganze Hofstaat war, und seine Frau saß auf einem hohen Thron von Gold und Diamanten und hatte eine große, goldene Krone auf und den Zepter in der Hand von purem Gold und Edelstein. Und auf beiden Seiten von ihr standen sechs Jungfern in einer Reihe, immer eine einen Kopf kleiner als die andere. Da stellte er sich nun hin und sagte: „Ach, Frau, bist du nun König?" „Ja", sagte die Frau, „nun bin ich König." Da stand er nun und sah sie an, und als er sie nun eine Zeitlang so angesehen hatte, sagte er: „Ach, Frau, was steht dir das gut, daß du König bist. Nun wollen wir uns auch nichts mehr wünschen." „Nein, Mann", sagte die Frau und war ganz unruhig, „mir wird schon Zeit und Weile lang, ich kann das nicht mehr aushalten. Geh hin zum Butt; König bin ich, nun muß ich auch Kaiser werden!" „Ach, Frau", sagte der Mann, „warum willst du Kaiser werden?" „Mann", sagte sie, „geh zum Butt, ich will Kaiser sein!" „Ach, Frau", sagte der Mann, „Kaiser kann er nicht machen, ich mag dem Butt das nicht sagen; Kaiser ist nur einmal im Reich; Kaiser kann der Butt nicht machen; das kann und kann er nicht!"
„Was", sagte die Frau, „ich bin König, und du bist doch mein Mann; willst du gleich hingehn? Gleich geh hin! Kann er Könige machen, so kann er auch Kaiser machen; ich will und will Kaiser sein; gleich geh hin!" Da mußte er hingehn. Als der Mann aber hinging, war ihm ganz bang; und als er so ging, dachte er bei sich: Das geht und geht nicht gut: Kaiser ist zu ausverschämt, der Butt wird am Ende müde.
Indes kam er an die See. Da war die See noch ganz schwarz und dick und fing an, so von unten herauf zu schäumen, daß sie Blasen warf, und es ging so ein Wirbelwind über die See hin, daß sie sich nur so drehte. Und den Mann ergriff ein Grauen. Da stand er nun und sagte:
„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will."
„Na, was will sie denn?" sagte der Butt. „Ach, Butt", sagte er, „meine Frau will Kaiser werden." „Geh nur hin", sagte der Butt, „sie ist es schon." Da ging der Mann hin, und als er ankam, da war das ganze Schloß von poliertem Marmelstein mit Figuren aus Alabaster und goldenen Zieraten. Vor der Tür marschierten die Soldaten, und sie bliesen Trompeten und schlugen Pauken und Trommeln. Aber in dem Hause, da gingen die Barone und Grafen und Herzöge grad so, als ob sie Diener wären, herum; die machten ihm die Türen auf, die von lauter Gold waren. Und als er hereinkam, da saß seine Frau auf einem Thron, der war von einem Stück Gold und war wohl zwei Meilen hoch; und sie hatte eine große, goldene Krone auf, die war drei Ellen hoch und mit Brillanten und Karfunkelsteinen besetzt. In der einen Hand hatte sie den Zepter und in der anderen den Reichsapfel, und auf beiden Seiten neben ihr, da standen die Trabanten so in zwei Reihen, immer einer kleiner als der andere, von dem allergrößten Riesen, der war zwei Meilen hoch, bis zu dem allerwinzigsten Zwerg, der war so groß wie mein kleiner Finger. Und vor ihr standen so viele Fürsten und Herzöge. Da ging nun der Mann hin und stand zwischen ihnen und sagte: „Frau, bist du nun Kaiser?" „Ja", sagte sie, „ich bin Kaiser." Da stellte er sich nun hin und besah sie sich so recht; und als er sie so eine Zeitlang angesehen hatte, da sagte er: „Ach, Frau, wie steht dir das schön, daß du Kaiser bist!" „Mann", sagte sie, „was stehst du da? Ich bin nun Kaiser; nun will ich aber auch Papst werden, geh hin zum Butt!" „Ach, Frau", sagte der Mann, „was willst du denn nicht noch alles werden?" Papst kannst du nicht werden; den Papst gibt’s doch nur einmal in der Christenheit - das kann er doch nicht machen." „Mann", sagte sie, „ich will Papst werden, geh gleich hin, ich muß heut noch Papst werden!" „Nein, Frau", sagte der Mann, „das mag ich ihm nicht sagen, das geht nicht gut aus, das ist zuviel verlangt, zum Papst kann dich der Butt nicht machen." „Mann, schwatz kein dummes Zeug!" sagte die Frau, „kann er Kaiser machen, so kann er auch Päpste machen. Geh sofort hin! Ich bin Kaiser, und du bist doch mein Mann - willst du wohl hingehen?" Da wurde ihm ganz bang zumute, und er ging hin. Ihm war aber ganz flau, er zitterte und bebte, und die Knie und Waden schlotterten ihm. Und da strich so ein Wind über das Land, und die Wolken flogen, und es wurde so düster wie gegen den Abend zu; die Blätter wehten von den Bäumen, und das Wasser ging hoch und brauste so, als ob es kochte, und platschte an das Ufer, und in der Ferne sah er die Schiffe, die gaben Notschüsse ab und tanzten und sprangen auf den Wogen. Doch der Himmel war in der Mitte noch so ein bißchen blau, aber an den Seite, da zog es so recht rot auf wie ein schweres Gewitter. Da ging er ganz verzagt hin und stand da in seiner Angst und sagte:
„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will."
„Na, was will sie denn?" sagte der Butt. „Ach", sagte der Mann, „sie will Papst werden." „Geh nur hin, sie ist es schon", sagte der Butt.
Da ging er hin, und als er ankam, da war da wie eine große Kirche, von lauter Palästen umgeben. Da drängte er sich durch das Volk; inwendig war aber alles mit tausend und aber tausend Lichtern erleuchtet, und seine Frau war ganz in Gold gekleidet und saß auf einem noch viel höheren Thron und hatte drei große, goldene Kronen auf, und um sie herum, da war so viel geistlicher Staat, und zu beiden Seiten von ihr, da standen zwei Reihen Lichter, das größte so dick und groß wie der allergrößte Turm, bis zu dem allerkleinsten Küchenlicht. Und all die Kaiser und Könige, die lagen vor ihr auf den Knien und küßten ihr den Pantoffel. „Frau", sagte der Mann und sah sie so recht an, „bist du nun Papst?" „Ja", sagte sie, „ich bin Papst." Da ging er hin und sah sie recht an, und da war ihm, als ob er in die helle Sonne sähe. Als er sie so eine Zeitlang angesehen hatte, sagte er: „Ach, Frau, wie gut steht dir das, daß du Papst bist!" Sie saß aber ganz steif wie ein Baum und rührte und regte sich nicht. Da sagte er: „Frau, nun sein zufrieden, daß du Papst bist! Nun kannst du doch nichts mehr werden." „Das will ich mir bedenken", sagte die Frau. Damit gingen sie beide zu Bett; aber sie war nicht zufrieden, und die Gier ließ sie nicht schlafen, sie dachte immer, was sie noch werden könnte.
Der Mann schlief gut und fest, er hatte am Tag viel laufen müssen; die Frau aber konnte nicht einschlafen und warf sich die ganze Nacht von einer Seite auf die andere und dachte immer drüber nach, was sie wohl noch werden könnte, und konnte sich doch auf nichts mehr besinnen. Indessen wollte die Sonne aufgehen, und als sie das Morgenrot sah, setzte sie sich aufrecht im Bett hin und sah starr da hinein. Und als sie aus dem Fenster die Sonne so heraufkommen sah: „Ha", dachte sie, „kann ich nicht auch die Sonne und den Mond aufgehen lassen?" „Mann", sagte sie und stieß ihn mit dem Ellenbogen in die Rippen, „wach auf, geh hin zum Butt, ich will werden wie der liebe Gott!" Der Mann war noch ganz schlaftrunken, aber er erschrak so, daß er aus dem Bett fiel. Er meinte, er hätte sich verhört und rieb sich die Augen aus und sagte: „Ach, Frau, was sagst du?" „Mann", sagte sie, „wenn ich nicht die Sonne und den Mond kann aufgehen lassen - das kann ich nicht aushalten, und ich habe dann keine ruhige Stunde mehr, daß ich sie nicht selbst kann aufgehen lassen." Dabei sah sie ihn ganz böse an, daß ihn ein Schauder überlief. „Gleich geh hin; ich will werden wie der liebe Gott!" „Ach, Frau", sagte der Mann und fiel vor ihr auf die Knie, „das kann der Butt nicht. Kaiser und Papst kann er machen; ich bitte dich, geh in dich und bleibe Papst!" Da kam die Bosheit über sie; die Haare flogen ihr so wild um den Kopf, und sie schrie: „Ich halte das nicht aus! Und ich halte das nicht länger aus; willst du hingehen?" Da zog er sich die Hosen an und lief davon wie unsinnig.
Draußen aber ging der Sturm und brauste, daß er kaum auf den Füßen stehen konnte. Die Häuser und die Bäume wurden umgeweht, und die Berge bebten, und die Felsenstücke rollten in die See, und der Himmel war ganz pechschwarz, und es donnerte und blitzte, und die See ging in so hohen schwarzen Wogen wie Kirchtürme und Berge, und oben hatten sie alle eine weiße Schaumkrone. Da schrie er, und er konnte sein eigenes Wort nicht hören:
„Manntje, Manntje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in der See,
mine Fru, de Ilsebill,
will nich so, as ik wol will."
„Na, was will sie denn?" sagte der Butt. „Ach", sagte er, „sie will werden wie der liebe Gott." „Geh nur hin, sie sitzt schon wieder in der Fischerhütte."
Da sitzen sie noch bis auf den heutigen Tag.

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